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Sie soll ein Mann sein!

Verschwörung um Brigitte Macron

Eigentlich sei sie ein Mann, aber Geheimdienste und Regierung würden alles vertuschen: Die Fake News um die Frau des französischen Präsidenten sind absurd – aber kein Einzelfall. Journalistin Emmanuelle Anizon taucht in die Szene der Verschwörungsfanatiker ein.

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Brigitte Macron

Ist selbstbewusst, aber stellt sich nie in den Vordergrund: Brigitte Macron nimmt als Première Dame Repräsentationspflichten für Frankreich wahr.

Matias Indjic/Madame Figaro/laif

Wir leben in einer Zeit, in der das Konzept der Wahrheit (fast) keine Bedeutung mehr hat.» Mit diesen Worten fasst die französische Journalistin Emmanuelle Anizon ihre mehr als zweijährige Recherche über eine Affäre zusammen, die das Leben der französischen Präsidentengattin Brigitte Macron zur Hölle macht. Mit Lug und Trug attackieren immer zahlreichere Verschwörungsfanatiker die 71-Jährige seit Dezember 2021.

Damals tritt die 53-jährige Natacha Rey in einem Youtube-Video einer Wahrsagerin auf. Diese macht täglich mit «hellseherischen» Fähigkeiten Front gegen die Regierung Frankreichs, insbesondere gegen ihr Feindbild Präsident Emmanuel Macron (46). Natacha Rey, die von der Sozialhilfe lebt, stellt sich vor als «autodidaktische, unabhängige Journalistin». Seit mehreren Jahren befasse sie sich mit Brigitte Macron, weil «mir ihr Äusseres komisch vorkommt» und weil «ihre Vergangenheit Lücken aufweist».

Die Frau des französischen Präsidenten ist Anwürfe und Verleumdungen gewohnt: Sie ist 25 Jahre älter als ihr Ehemann und hat Emmanuel 1994 kennengelernt, als sie seine Lehrerin und er ein Schüler von 17 Jahren war. Ein Skandal in Brigittes bürgerlicher Welt. Die Mutter von Sébastien, (heute 49), Laurence (47), und Tiphaine (40) verlässt daraufhin die Familie, lässt sich von ihrem ersten Ehemann scheiden. Eine solche Liebe ist aussergewöhnlich, dass sie seit 30 Jahren Bestand hat erst recht. Die Familien der beiden Liebenden bleiben seitdem im Hintergrund, zu gross die Verletzungen, die Scham und Wut oder ganz einfach die Angst vor Spott und Häme. Das Leben von Emmanuel und Brigitte Macron ist die perfekte Blaupause für schmutzige Gerüchte und üble Nachrede.

Brigitte Macron

Grosse Liebe auch nach 30 Jahren. Die Macrons sind ein aussergewöhnliches Paar und sind sich Attacken aller Art gewohnt.

imago/IP3press

Brigitte Macron sei ein Mann, behauptet Natacha Rey also im Dezember 2021 im Gespräch mit der Wahrsagerin. Schon lange beschäftige sie das, die harten Gesichtszüge, die breiten Schultern, die Stimme. Sie habe mit Ärzten gesprochen, mit Zahnärzten, Dermatologen, versucht sie ihren Fantastereien einen seriösen Anstrich zu geben. Dann, urplötzlich, habe sie gewusst, auf der richtigen Fährte zu sein: «Als du», sagt sie zur Wahrsagerin, «in einer deiner Sendungen sagtest, dass Präsident Macron dann fallen würde, wenn der Skandal um seine Frau Brigitte explodiert. Da wusste ich, es ist alles so, wie ich es sehe.»

Spätestens hier sollten die Alarmglocken läuten: Die Voraussage einer Wahrsagerin wird als Beweis einer Geschichte herangezogen, die rein auf Vorurteilen beruht. Doch weit gefehlt: Das Video wird über 500'000-mal angeklickt. Natacha Rey und mit ihr unzählige Trolle spinnen in den kommenden Jahren und bis heute ein Netz aus Anspielungen, Anzüglichkeiten, Lügen und Verleumdungen.

Die Journalistin Emmanuelle Anizon trifft Natacha Rey und viele weitere, die seitdem an den Fake News über die Präsidentengattin mitarbeiten. Die meisten stammen aus dem rechtsextremen Milieu, sind vereint im Hass auf den Staat, im Misstrauen auf alles, was von offiziellen Stellen kommt, fühlen sich abgehängt, wollen einen Umsturz herbeiführen. Covid-19-Leugner sind dabei, aber auch Linksextreme, die gegen Eliten kämpfen, die angeblich die Weltherrschaft anstreben. Es habe sich eine regelrechte Szene der «Brigittologen» gebildet, schreibt Anizon in ihrem Buch «L’affaire Madame» (nur auf Französisch). Sie alle sind überzeugt, dass Regierung, Geheimdienste, alle Mächtigen ein böses Spiel mit ihnen treiben, vertuschen und verheimlichen.

Anizon geht mit grösster Objektivität in die Gespräche, will verstehen, wie sich solche Fake News verbreiten können und warum sie immer grössere Kreise ziehen. Sie findet unzählige Täter und viele Opfer. «Es ist schwindelerregend», schreibt sie, sie müsse aussteigen. Jede Tatsache, die sie präsentiere, jedes Argument, das sie äussere, werde ins Gegenteil verkehrt. Es gebe eine Parallelwelt. Bewusst nennt Anizon die Verbreiter der Fake News in ihrem Buch «die Trotzigen», damit will sie objektiv bleiben und den Ursachen auf den Grund gehen. «Es reicht nicht, die Trotzigen niederzubrüllen, sondern es als Symptom zu sehen. Denn sie sind unter uns, vielleicht sogar im eigenen Umfeld.»

Brigitte Macron

Bild mit Symbolwert: Macron lässt sich von der eigenen Fotografin beim Boxtraining ablichten.

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«Grösste Herausforderung unserer Zeit»

Diese Analyse bestätigt Pascal Wagner-Egger, Sozialpsychologe und Experte für Verschwörungstheorien an der Universität Fribourg. «Verschwörungstheorien gab es schon immer: die angeblich magische Kugel beim Kennedy-Mord, die Mondlandung, die ein Studiofilm sein soll, die Anschläge vom 11. September, die von der US-Regierung inszeniert worden seien.» Verstärkt habe sich die Bewegung bei der Covid-19-Pandemie und – vor allem – durch die sozialen Netzwerke, die es Gruppen heutzutage erlaubten, sich eigene Informationskanäle zu schaffen. «Ja, es ist besorgniserregend», sagt Wagner-Egger.

Typisch sei, dass die Protagonisten politisch den Extremen zuneigten. «Die Affäre um Brigitte Macron zeigt die Haltung der extremen Rechten mit Fokus auf Sexualität und Gender. «Häufig geht das zusammen mit Judenhass und Ausländerfeindlichkeit.» Er erwähnt, dass in den USA eine fast deckungsgleiche Kampagne gegen Michelle Obama gelaufen sei und in Neuseeland gegen die ehemalige Premierministerin Jacinda Ardern. Im Moment häufig seien auch die Anschuldigungen, dass die Bevölkerung ausgetauscht werden solle. Dort träfen sich dann die politischen Pole wieder: «Von links und rechts wird das Motto des WEF, ‹The Great Reset›, missbraucht. Es wird Angst geschürt, dass die Eliten die grosse Machtübernahme und die Unterdrückung und Totalkontrolle der Bevölkerung planen.»

Bei den Gründen sieht der auf Verschwörungstheorien spezialisierte Forscher dieselben Ursachen wie Anizon: Das Internet erlaubt, eigene Kanäle und Meinungsblasen aufzubauen. Anfällig seien oft Menschen, die sich ungerecht behandelt fühlten, abgehängt seien und sich gegenüber den Mächtigen revanchieren wollten. «Das wird sich verstärken, je mehr sich die soziale Ungleichheit erhöht», so Wagner-Egger. Drittens gebe es ein psychologisches Element: «Das Paranormale, die Intuition, ist für viele sehr attraktiv. Der Vollmond, der angeblich auf den Schlaf oder die Pflanzen wirkt, ist da nur ein harmloses Beispiel.»

Brigitte Macron

Den Präsidenten meinen, die Ehefrau angreifen: Verschwörungsfanatiker wollen die Mächtigen stürzen.

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Wie aber bringt man die so gepolten Menschen wieder in die Realität zurück? «Die direkte Demokratie hilft! Nach den drei Covid-19-Abstimmungen sind die Covid-19-Leugner in der Schweiz viel leiser geworden. In Staaten wie den USA oder auch Frankreich bin ich weniger optimistisch.» Wagner-Egger nimmt die Medien in die Verantwortung: «Sie müssen informieren, aufdecken, klarstellen.» Als Beispiel nennt er die Gerüchte um Prinzessin Kate, die ein gutes Beispiel für die häufig vorkommenden Fantastereien über Doppelgänger sei. «Im Netz zirkulierten zahlreiche Erzählungen, dass sie tot und durch eine Doppelgängerin ersetzt worden sei. Erst als sie vor die Kamera trat und ihre Krebserkrankung öffentlich machte, hat sich die Lage beruhigt.»

Die Hartgesottenen werde man damit nicht überzeugen, sagt der Forscher. «Aber die Mitläufer.» Im persönlichen Gespräch helfe, dass er auf Denkfehler aufmerksam mache, sogenanntes Bias. «Sehr wichtig ist auch, dass wir Kinder und Jugendliche in Medienkompetenz schulen, damit sie Fakten von Lügen unterscheiden können. Das ist die grosse Herausforderung unserer Generation», mahnt Pascal Wagner-Egger.

Brigitte Macron hat früh Klage gegen die Verleumdungen eingereicht. Selber liess sie sich nur allgemein darüber zitieren. Als Schirmherrin einer Organisation zum Schutz von Kindern gegen Cybermobbing müsse sie auch in ihrem Fall Klage einreichen. «Sonst wäre ich unglaubwürdig. Es zeigt aber auch, wie wichtig es ist, Kinder und Jugendliche aufzuklären und zu schützen.» Da die Lügen immer grössere Kreise ziehen und nun auch in den USA verbreitet werden, hat sich Präsident Macron im März dazu geäussert: «Das Schlimmste sind die falschen Anschuldigungen und die erfundenen Szenarien und dass die Menschen daran glauben. Es verletzt und trifft einen in seinem Innersten.» Die Gerichtsverhandlung ist auf den Juni dieses Jahres angesetzt.

Monique Ryser
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Von Monique Ryser am 27. April 2024 - 18:00 Uhr